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Diese Woche kommt unser Erzähler aus der Hansestadt Hamburg. Tom hat sich in seiner Jugend für den Verein mit der Raute begeistern können, jedoch nie ein wirklich emotionales Verhältnis aufgebaut. Die Lokalisierung der Spielstätte fernab des eigentlichen Hamburger Lebens trug seinen nötigen Teil dazu bei. Anders sollte es ihm bei seiner Studienzeit in London ergehen. Mitten im Herzen Islingtons angekommen, wurde ziemlich schnell klar, welcher Verein sein Herz erobern sollte und welcher seinen Spott erntete. Während an der in Fulham angesiedelten Bridge ein Ex-Sträfling einen vormals nicht-existenten Fussballclub mit blutigen Ölmilliarden errichtete, sollte Arsene Wenger das englische Fussballspiel neu erfinden. Und hieraus eine immerwährende Liebe entstehen. Aber lest selbst:


Geschrieben von Tom Dziomba


Als ich im Sommer 2002 ein Praktikum in London absolvierte, landete ich für drei Monate in einer Wohngemeinschaft in der Bickerton Road in Archway, N19. Als mein fußballverrückter Freund Sascha mich am letzten Septemberwochenende besuchen kam, war der Besuch eines Premier League Spiels natürlich Pflicht. Wir landeten an der hässlichen Stamford Bridge, in Fulham.

Chelsea Football Club, 19 Jahre nach Arsenal im Jahre 1905 gegründet, hatte in seiner fast 100jährigen Geschichte bis dahin eine Meisterschaft gewonnen. Das war vor fast 50 Jahren. Berühmt war der Verein hauptsächlich für die Chelsea Headhunters, eine rassistische Hooligan-Gruppierung, deren Vorgänger, die Chelsea Shed Boys, insbesondere in den 1980er Jahren Terror verbreiteten. Sehr sympathische Truppe also. Der ehemalige Eigentümer vom C.F.C., Ken Bates, hatte damals erfolglos vorgeschlagen, elektronische Zäune im Stadion zu errichten, um das Stürmen des Platzes zu verhindern.

8012975085_436c8241b2_z Inter City Firm West Ham

Erfolglos blieb eine weitere Unternehmung des ehemaligen Eigentümers Bates, der den Club 1982 für einen Pfund gekauft hatte. Er betätigte sich als Immobilien-Entwickler und bastelte einen unfassbar scheußlichen Komplex aus Hotels, Wohnungen, Bars, Restaurants und den Chelsea Megastore mit der interaktiven Chelsea World of Sport an das Stadion. Die Schulden aus diesem Fehlinvestment führten fast zur Pleite des Vereins, der sich sportlich aber halbwegs hielt.

An diesem Samstag Nachmittag kam West Ham United aus Ost-London zu Besuch. Deren Hooligans, die Inter City Firm, galten als die erste gut organisierte, gewalttätige Fangruppierung. Ein schönes Hass-Derby also. Auch wenn das Ganze 2002 ja nicht mehr so wild war. Aber die Luft knisterte.

Was dann aber auf dem Platz und in den Rängen folgte, war der Wahnsinn. Paolo di Canio, der später in seiner Zeit bei Lazio Rom bekennende Faschist mit einer Vorliebe Stadionkurven mit gestrecktem rechten Arm zu grüßen, hatte das Spiel seines Lebens. West Ham gewann mit 3:2. Di Canio steuerte hierzu einen unglaublichen Volleytreffer aus 30 Metern, sowie das entscheidende Tor kurz vor Schluss bei.

Die direkte, harte Art des Fußballspiels in England hatte mich genauso fasziniert, wie die extremen Emotionen der Fans. Der West Ham-Block, der nach Abpfiff zunächst verschlossen blieb um etwaige Zusammentreffen der radikalen Fangruppen zu verhindern, war bei den Toren ein lärmendes Tollhaus, während der Rest des Stadions totenstill war. Die Chelsea Fans ihrerseits eruptierten bei den beiden Treffern und es war amüsant zu sehen, wie sich die gegnerischen Fans in benachbarten Blöcken, nur durch ein paar hilflose Stewards getrennt, schmähten und provozierten.

Das ErIebnis in Fulham war ein starker Kontrast zu meiner Fußball-Sozialisierung Anfang der 1980er Jahre. In den Hamburger Suburbs erlebte ich, als selbst aktiver Mini-Bube bzw. F- und E-Jugendlicher, die besten Jahre des Hamburger Sport Verein. Horst Hrubesch und Manni Kalz waren meine Idole und diesen Schuss von Felix Magath, der den HSV im Mai 1983 zum Europapokalsieger der Landesmeister machte, werde ich nie vergessen. Aber die unregelmäßigen Stadionbesuche bis Ende der 1980er waren weder sportlich erquicklich, noch kam Stimmung im weiten Oval des Volksparkstadions auf. Und die Lage an Autobahn und Müllverbrennungsanlage war auch eine Zumutung, die Liebe zum HSV und auch mein Interesse am Bundesligafußball erkaltete über die Jahre.

Das Spiel jedoch, das ich an dem Septemberwochenende 2002 in London sah, begeisterte mich wieder für Fußball. Englischen Fußball. Insbesondere die starke lokale Verbindung, die ich aus Hamburg mit diesem Stadion im Niemandsland überhaupt nicht kannte, fand ich beeindruckend. Glücklicherweise hatte ich in meiner Wohngemeinschaft einen Mitbewohner, Anthony, der mir viel über die Premier League erzählen konnte. Er selbst war in Birmingham aufgewachsen und aufgrund seiner irischen Abstammung traditionell Aston Villa Fan.

Und so kamen wir auf Arsenal. Und Anthony erzählte, wie sich der Verein nach der Einstellung von Wenger gewandelt hat. Wie er vorher, insbesondere zu Zeiten von George Graham, vor allem für seine defensive Spielweise bekannt war. Und die langweilige Spielweise gegnerische Fans dazu gebracht hat, Boring, Boring Arsenal zu singen, während die eigenen Fans oft One-Nil to the Arsenal anstimmten, was die Spielweise, hinten zumachen und nach vorne nur das nötigste zu tun, zusammenfasste. Wengers Offensivtaktik gepaart mit disziplinierter Ernährung und für die Premier League neuen Trainingsansätzen transformierte so nicht nur den Verein sondern fand in Bezug auf die letzten beiden Aspekte schnell Nachahmer in der Liga. Anthony erzählte, wie es bis Mitte der 1990er Jahre gang und gebe war, dass die Spieler regelmäßig eher durch Geschichten über Saufgelage,  Drogen und Randalieren, als gute Leistungen auf dem Platz Schlagzeilen machten. Dabei fielen auch Namen wie Paul Merson, Ray Parlour und Tony Adams. Ich fand das eigentlich ganz sympathisch, vor allem, dass die Spieler nach dem Spiel im lokalen Pub beim Stadion abhingen und sich voll laufen ließen. Dass der dann folgende Wandel zu einer der besten, athletischsten Fußballigen der Welt im Grunde auf einen Mann, Arséne Wenger, zurückzuführen war, fand ich beeindruckend.

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Als wir uns an dem Abend Match of the Day in der BBC ansahen, konnte ich dann auch gleich sehen, zu was für einem Team Arsenal sich unter Arséne Wenger entwickelt hatte. Ein überragendes 4:1 in Leeds, was zudem bedeutete, dass die Gunners in 47 aufeinanderfolgenden Spielen mindestens ein Tor geschossen hatten und damit den 71 Jahre alten Rekord von Chesterfield eingestellt hatten. Die Mannschaft an dem Tag bestand aus Seaman, Lauren, Campbell, Cygan, Cole, Toure, Vieira, Silva, Wiltord, Henry und Kanu und das unheimlich flüssige Spiel, vor allem das schnelle Umschalten von Verteidigung auf Angriff, hat mich schwer beeindruckt. Es war wirklich schön anzusehen.

Mein Interesse an Arsenal war geweckt. Ich fragte Anthony, wo denn das Stadion von Arsenal sei und er meinte: ’Oh, it’s just down Holloway Road’, nur etwa drei Kilometer von unserer Wohnung entfernt. Ein paar Tage später machte ich mich auf und nahm den Bus zur Finsbury Park Station. An deren Ausgang zur Seven Sisters Road signalisierte bereits der große Arsenal Fanshop, wo man sich hier befand. Entlang der Finsbury-Park-Moschee, die zu der Zeit aufgrund ihrer Verbindungen zu Al Qaeda im Fokus der Medien stand, ging es die St Thomas’s Road hinunter.

Ich erinnere  mich an diesen faszinierenden Anblick, wie sich, nachdem man einer kleinen Kurve in der Straße folgte, der North Bank Stand aus dem Meer von kleinen Viktorianischen Reihenhäusern erhob. Mal abgesehen von dem hässlichen Sozialwohnungsblock kurz vor der Gillespie Road, in die ich dann nach links abbog, um zum East Stand zu gelangen. Diese Tribüne, in der sich auch die Büros, eine Cocktail Lounge, Umkleidekabinen und der Pressebereich befanden, war 1936 eröffnet worden. Nachdem das alte Stadion weitestgehend abgerissen und für Wohnungsbau um genutzt wurde, ist dieses denkmalgeschützte Gebäude mit der wunderschönen Art-Deko Architektur, das einzige jetzt noch erhaltene des alten Stadionkomplexes. Ich war auf jeden Fall beeindruckt, wie physisch eng verwoben der Verein hier mit der Nachbarschaft existierte. Und das seit über 90 Jahren. Der Spielbetrieb in Highbury wurde 1913 aufgenommen.

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Es sollte dann aber noch zwei Jahre dauern, bis ich mein erstes Mal ein Spiel an diesem magischen Ort sehen sollte. Es fiel mir schwer, ohne die direkte Nähe zum Verein eine Verbindung aufzubauen und folgte Arsenal zurück in Hamburg nur sporadisch über das Internet. Im folgenden Sommer, 2003, arbeitete ich im Juni und Juli wieder in London. Arsenal hatte gerade den FA Cup gewonnen, musste sich in der Meisterschaft jedoch gegen Manchester United geschlagen geben. Und während der Meister einen 18 jährigen Portugiesen namens Christiano Ronaldo verpflichtete, konnte Arsenal sich mit Jens Lehmann verstärken.

Was aber den Sommer wirklich Schlagzeilen machte, war die Übernahme von Chelsea durch Roman Abramovich. Der ehemalige Häftling, der durch nicht ganz saubere Machenschaften Milliardär geworden ist,  sorgte dafür, dass der Verein nicht nur schlagartig schuldenfrei war, sondern nun auch uneingeschränkte Mittel hatte, sich zu verstärken. Dies bedeutete nicht nur eine neue Ära im Englischen Fußball, es machte den Verein auch noch unsympathischer. Natürlich stand dieser neue Eigentümer im starken Kontrast zu den Inhabern von Arsenal, die von den Familien Hill-Wood und Bracewell Smith dominiert wurden. Diese besaßen die Mehrheit am Klub seit dem zweiten Weltkrieg, als die Anteile mehr als wohltätiges Engagement zur Unterhaltung der Arbeiterklasse Nord-Londons gesehen wurde und keine Dividende ausgezahlt wurde.

Ein Jahr später war es dann endlich soweit. Ich zog nach London, um mein Studium abzuschließen. Die Zimmersuche beschränkte sich natürlich auf einen engen Radius um das Highbury Stadion und ich landete schließlich in der Charteris Road, direkt ’hinter’ der Finsbury Park Station. Ich liebte es, wenn die gesamte Nachbarschaft an Spieltagen von Fans belebt war und diese aufregende Stimmung über dem Stadion und dem Viertel hing.  Und so war es auch an diesem dunklen Tag im Dezember 2004.

Arsenal waren als die Invincibles in die Saison gegangen und starteten fulminant mit 16 Toren in vier Spielen. Nach acht Siegen in neun Spielen mussten sie am 24. Oktober im Old Trafford gegen Manchester United antreten und an diesem Tag endete auf schmerzliche Weise der Lauf der in der Premier League ungeschlagenen Spiele nach unglaublichen 49. Und weil es in Fußball ja auch immer diese schönen Subplots gibt, traf Ruud van Nistelroy hier einen Elfmeter, bevor Rooney in der Nachspielzeit das definitive Ende des Unbeaten-Runs besiegelte. Der van Nistelroy, der in der Vorsaison einen Elfmeter gegen Arsenal verschossen hatte und beim Endergebnis von 0:0 mit einem verwandelten Elfmeter die einmalige Saison, in der Arsenal kein einziges Mal besiegt wurde, hätte zunichte machen können. Er traf aber nicht. Was zu einer meiner Lieblings Nicht-Fussballszenen bei bzw. nach einem Fussballspiel führte, als Gilberto, Parlour, Cole, Keown, Lauren und Toure den Holländer fast verprügeln, was die Intensität dieser Spiele ganz gut reflektiert.

Am 12. Dezember 2004 kam Chelsea nach Highbury und ich wollte dieses Spiel unbedingt live sehen. Wie immer waren die engen Straßen, von Verkaufsständen mit Schals, Mützen, Trikots und Fan-Gesang–CDs gesäumt, zum Stadion überfüllt. Das Spiel war natürlich lange ausverkauft und ich hatte mein absolut maximales Budget für eine Karte auf dem Schwarzmarkt bei  £100 festgelegt. Nachdem ich kurz vor Anpfiff panisch wurde, trennte ich mich für eine Sitzplatzkarte auf der North-Bank, mittlere Höhe, leicht links, von £120. Und um das Klischee zu bedienen: Dieser doch nicht unerhebliche Teil meines monatlichen Studentenbudgets war jeden Penny wert.

Henry Terry

Ich war noch auf der Suche nach meinem Platz, als Henry, wie ich später im Fernsehen sehen konnte, Arsenal in der 2. Minute mit einem wunderschönen Schuss in Führung gebracht hatte. Nach 17 Minuten folgte jedoch der Ausgleich von dem Mann, den ich bis heute liebe zu hassen. Aber hassen ist das falsche Wort. Eher so eine Mischung aus extremer Genervtheit, gepaart mit Mitleid und Belustigung, wenn man sich vorstellt, was John Terry nach seiner Fußballkarriere wohl machen wird, außer fett und pleite werden, weil er sein Vermögen verspielt. Henry brachte Arsenal nach 29 Minuten wieder in Führung, bis Gudjohnsen kurz nach der Halbzeit den Ausgleich für Chelsea erzielte.

Trotz noch zwei guten Chancen für Henry und van Persie zum Schluss konnte man insgesamt wohl mit dem Ergebnis zufrieden sein. Hatte man doch über 10% der Treffer erzielt, die Chelsea mit insgesamt 15 über die ganze Saison einfangen sollte. Die Mannschaft in der damals auch ein gewisser Arjen Robben spielte, sollte die Liga gewinnen, nachdem im Sommer für über £91.000.000,-  neue Spieler wie Ferreira, Čech, Robben, Drogba und Carvalho geholt wurden. Während Chelski rund £2 Mio. für Spieler eingenommen hatte.

Meine Annäherung an den Englischen Fußball, an den Verein Arsenal und mein erstes Mal mit Arsenal war zu einer Zeit, in der der Verein seinen zunächst letzten Höhepunkt hatte. In den folgenden Jahren dominierte Chelsea einzig und alleine, weil sie die Lotterie gewonnen hatten. Und der Gewinn eigentlich dem russischen Volk gehörte. Das ist allerdings egal, da ich in dieser Zeit einen Verein lieben lernte, der tief in Tradition und Werten verwurzelt war und es zumindest auch noch heute ist, trotz eines amerikanischen Eigentümers, dessen Herz wohl leider nicht ganz bei der Sache ist. Sicher waren die finanziell klammen Zeiten der aufgrund des Stadionneubaus und den daraus resultierenden limitierten Möglichkeiten, den Kader stärker zu verbessern, schwer und die langen Jahre ohne eine Trophäe schmerzhaft. Aber es gab immer wieder diese Momente, die einen so froh gemacht und mitgenommen haben, wie das Weiterkommen gegen Real Madrid im Frühjahr 2006. Oder das 2:1 gegen Barcelona im Februar 2011. Große, wie auch kleine Momente, bei denen man mitfiebert und wahnsinnig wird, da die Verteidigung wieder zu dünn ist oder unsere Stürmer versagen. Am Ende aber doch noch ein knapper Sieg oder ein Punkt rausspringt und man dabei stolz sein kann, dass das alles einem Klub zu verdanken ist, der stets seine Werte und Prinzipien verfolgt hat und dies hoffentlich auch immer tun wird.

Fa Cup Hamburg

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