1 down, 9 to go 4.69/5 (16)

„Jenenser Überall“? Klar doch, und natürlich auch (mal) wieder in London. Lest Stefan´s Bericht vom Wochenende:

So richtig warmgeworden bin ich mit dem Emirates ja nie. Das erste Mal in Highbury im Sommer 1991 kam einer Offenbarung gleich, sollte mein Leben verändern, und dieses schnuckelige Historie atmende Art-Deko-Schätzchen für immer tief in meinem Herzen verankern. Highbury war Heimat. Ein jedes Spiel dort unvergesslich. Von der Premiere gegen Manchester City mit Rocastle und Limpar, Smith und Dixon, bis zum wehmütigen Abschied vierzehn Jahre später, als Henry und van Persie die Magpies in die Schranken wiesen.

Klar, die Einsicht in die wirtschaftliche Notwendigkeit eines Umzugs war da, schließlich verweigerten sich die Grundstückseigentümer hinter dem Clock End standhaft eines Verkaufs ihrer Immobilien, und mit einem 38.000-Mann-Stadion dem finanziell übermächtigen Man United auf Dauer Paroli bieten zu können war utopisch. Aber spätestens mit dem ersten Besuch im neuen Ground, einem ungefährdeten 3:0 im North London Derby war klar: Eine Liebe wird das nicht. Ein perfekter Palast mit perfekter Sicht und perfektem Rasen und perfektem Unterhaltungsprogramm und perfekten Plätzen perfekt designt. Aber ohne Seele, ohne Stimmung, ohne Prickeln. Eine zweite, dritte und vierte Chance folgten, aber irgendwann arrangierte man sich mit der Situation und suchte sein Seelenheil in Auswärtsspielen der Gunners. Mit lauten und enthusiastischen Gleichgesinnten, mit Support ohne Sitzplatzzwang.

Man sagt, ein neues Stadion müsse sich entwickeln, muss Schauplatz denkwürdiger Spiele geworden sein, persönlicher Anekdoten, Stimmungsinseln sich finden. Und 2022/23 scheint die Saison zu sein, in dem dieser Prozess Früchte zeitigt. So zumindest las man, hörte man, und es machte neugierig auf einen längst überfälligen ersten Spielbesuch seit dreieinhalb Jahren Abstinenz. Zumal mit Leeds United ein Gegner wartete, der seinerseits für überragenden Away-Support steht.

Der Start in den Spieltag lief durchwachsen. Liverpool hatte im Mittagsspiel mit früher Führung Hoffnungen in den Gooner-Herzen geweckt, die Peps Geldmaschine gnadenlos zerstampfte. Und so war in den meisten Gesichtern auf dem Weg zum Stadion mehr Anspannung als Euphorie zu spüren. Und man hatte den Eindruck, dass der Ballast des Gewinnenmüssens auch die Mannschaft erreicht hatte, die in den ersten Minuten wenig Leichtigkeit versprühte. Aber auch wenn in der ersten halben Stunde nicht viel zusammenlief: Das Publikum war da. Nach jedem herzinfarktnahen Vorstoß der Whites aufmunternde Anfeuerung statt Nöleinlagen. Ein Stadion, das jene Einheit verkörpert, die Mikel Arteta seit seiner Amtsübernahme angestrebt hatte. Spieler und Fans als gemeinsames Team von 60.000 an einem Tau ziehenden Kämpfern. Und so überstand Arsenal diese erste halbe Stunde unbeschadet, ging durch einen Kann-Elfer in Führung und hätte in den verbleibenden Minuten bis zur Pause das Spiel eigentlich schon entschieden haben können. Umrahmt von einer mittlerweile von Erleichterung geprägten Geräuschkulisse. „We’ve got super Mik Arteta“…“We won the league at Anfield“…“And it’s Aaaarsenal“, Emirates rocking. Geil.

Schon kurz nach dem Seitenwechsel folgte die Entscheidung durch White und Jesus, strahlende Gesichter allenthalben, endlich mal kein late Drama, sondern ein souveräner Sieg. Minutenlange Wechselgesänge „We’re the North Bank, we’re the North Bank, we’re the North Bank Highbury“ beantwortet von den Jungs unter der wunderbaren großen Uhr. Und Leeds? War in der North Bank nur selten zu hören, was aber auch für die dauerhüpfende Ashburton Army gilt, zu groß eben doch die Entfernungen in der großen roten Schüssel. Nachdem auch der Anschlusstreffer postwendend von Kopfballungeheuer Xhaka beantwortet wurde, konnten drei weitere Punkte im Meisterschaftsrennen eingetütet werden. Einem Rennen, in dem es wohl nur noch den wenigsten Fans gelingt, locker zu bleiben und einfach nur den Moment zu genießen. Wir haben die magische Schwelle überschritten, wo man etwas, mit dem man vor der Saison nie und nimmer gerechnet hätte, vermeintlich in den Händen hält und nun plötzlich Angst hat, dass es einem wieder entrissen wird. Eine Angst, die Arteta hoffentlich aus den Köpfen der Spieler fernzuhalten vermag.

Und das Emirates? Hat sich dieses Mal anders angefühlt. Vielleicht ist diese Stiefmutter doch gar nicht so übel und wir finden noch eine gemeinsame Basis miteinander. Auch wenn sie die echte nicht ersetzen können wird. Und ich endlich begreife, dass sie das auch gar nicht will.

 

Beitrag bewerten

0 Kommentare

Hinterlasse einen Kommentar

An der Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar